Sunday, April 11, 2010

Der Mann in der Krise

[KSTA, 09.04.10]



Von Jasmin Michels



Es steht nicht gut um den Mann. Der Feminismus hat die traditionelle Bilderwelt der Männlichkeit zerstört, meint etwa der Soziologe Walter Hollstein. Das hat gerade erst der Internationale Männerkongress in Düsseldorf gezeigt.



Frauen werden heute Kanzler und Fußballweltmeister, tragen die Jeans genauso selbstverständlich wie den Rock und besetzen immer öfter ehemals männliche Territorien - ohne dabei ihre Weiblichkeit einzubüßen. Viele Männer wissen dagegen nicht mehr, wo eigentlich noch Raum für ihre Männlichkeit bleibt - und was diese eigentlich ausmacht. Die allgemeine Verunsicherung beim männlichen Geschlecht ist entsprechend groß. Das haben ihm gerade erst die Teilnehmer des „Internationalen Männerkongress“ an der Uni Düsseldorf bescheinigt.

„Der Feminismus hat die traditionelle Bilderwelt der Männlichkeit zerstört“, sagt etwa der Soziologe Walter Hollstein, „was den Mann einst zum Mann machte, wird heute stigmatisiert.“ Die maskuline Identitätskrise lasse sich dennoch nicht an den Feminismus binden, räumt er ein. Die Ursachen liegen woanders: „Vielen Jungs fehlt das männliche Vorbild“, erklärt Kongressveranstalter Matthias Franz, Professor für psychosomatische Medizin. Jedes fünfte Kind wächst heutzutage mit nur einem Elternteil auf, 85 Prozent der Alleinerziehenden sind Mütter. „Unter dem abwesenden Vater leiden besonders die Jungen“, so Franz. Denn während bei Mädchen die primäre Bindungsperson und das sexuelle Rollenvorbild identisch sind, fehlt den Jungs oft nicht nur in der Familie, sondern auch in den Kindertagesstätten und Grundschulen das entsprechende Rollenvorbild.

Oft fehlt Jungen die männliche Bezugsperson

Männliche Erzieher und Grundschullehrer sind nach wie vor rar, daran hat auch die Forderung der früheren Familienministerin Renate Schmidt nach mehr Männern in der Kindererziehung nichts geändert. Dass Männer ein Problem damit haben, in vermeintlich feminine Berufsbereiche vorzudringen, mag eben genau damit zusammenhängen, dass „Jungs Weiblichkeit durch fast ausschließlich feminine Bezugspersonen als dominant erfahren und sich schließlich gegen alles wehren, was im Verdacht steht, sie zu verweiblichen“, so Franz. Walter Hollstein fürchtet, dass die überwiegend weiblichen Bezugspersonen dem Naturell der Jungen nicht gerecht werden: „Wenn Tom Sawyer und Huckleberry Finn heute leben würden, man hätte ihnen vermutlich ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom diagnostiziert.“ Vaterlose Jungen zeigen, meint Matthias Franz, häufiger Verhaltensauffälligkeiten als Jungen aus Familien mit zwei Elternteilen und Mädchen im Allgemeinen. „Der fehlende Vater wirkt sich nicht nur auf die Rollenfindung negativ aus, sondern vermutlich auch auf ihr späteres Frauenbild“, so Franz. „Wenn der Anteil früh verunsicherter Jungen weiter steigt, werden unseren starken Frauen die passenden Partner ausgehen.“

Der Bildungswissenschaftler Klaus Hurrelmann hat ermittelt, dass den 80 Prozent der Frauen, die Familie und Beruf vereinen wollen, heute Männer gegenüberstehen, die sich zu 60 Prozent nach einem traditionellen Familienbild mit dem Mann als Alleinverdiener sehnen. Zudem sinkt bei Männern der Wunsch nach Familie und Kindern. Nach Fortschritt hört sich das nicht an.

Männer leiden mehr unter Trennungen

Männer, die ihre Söhne - und Töchter - verlassen, sind dabei oft selbst verlassen worden: Zu 70 Prozent sind es die Frauen, die die Initiative für eine Scheidung ergreifen. Ihnen gelingt es auch eher, die Trennung als eine neue Herausforderung zu sehen. Die Männer dagegen kommen mit einer Trennung weitaus weniger gut zurecht als angenommen, wie die von dem Soziologen Gerhard Amendt geleitete Bremer Studie „Scheidungsväter“ zeigt. Ihr Leben gerät, genau wie das ihrer Söhne, in ziemliche Unordnung.

„Die zweitschlimmste Krise, in die ein Mann geraten kann, ist nach dem Tod des Partners die Scheidung“, sagt Amendt, der heute an der Universität in Wien lehrt. Für seine Studie befragte er 3600 in Trennung lebende Männer zu ihren Erfahrungen und kam zu dem Schluss, „dass eine Scheidung für einen Mann ein großes Risiko darstellt.“ 21 Prozent der in der Studie befragten Männer gaben an, nach der Scheidung das Interesse an ihrem Beruf verloren zu haben, 76 Prozent klagten über körperliche oder seelische Beschwerden.

Dabei ist es nicht nur der Verlust der Partnerin, sondern vor allem auch die Trennung von den Kindern, die den Vätern zu schaffen macht. Die genannten Probleme waren dann eher von vorübergehender Natur, wenn dem Mann nach der Trennung ein regelmäßiges Umgangsrecht mit den Kindern eingeräumt wurde. 18,2 Prozent der Väter gaben jedoch an, nach der Trennung keine Möglichkeit mehr zu haben, ihre Kinder zu sehen.

Die meisten (34,8 Prozent) sehen ihre Kinder nach dem Berliner Modell nur jedes zweite Wochenende. Viele Väter bemühen sich zwar, die Beziehung zum Nachwuchs nach der Trennung aufrecht zu erhalten, scheitern aber in der Praxis. Häufig deshalb, weil die ehemaligen Partner heute unüberbrückbare Differenzen trennen und der Mann das Umgangsrecht nicht durchsetzen kann. Oft sind es die Frauen, die den Kontakt von Vater und Kindern unterbinden, wie Amendts Studie zeigt - ein Vorgehen, das womöglich beiden, Vätern und Kindern, schadet.

„Vor allem für Männer aus unteren Schichten ist mit der Familie Sinnstiftung verbunden“, berichtet Amendt. Das erklärt auch, warum viele Männer nach einer Scheidung das Interesse an ihrem Beruf verlieren. „Sie arbeiten hauptsächlich deshalb, um die Familie am Leben zu erhalten“, so der Soziologe. Wer dagegen viel Zeit in seine Ausbildung gesteckt habe, habe häufig einen Beruf, der ihm auch Spaß mache, der nicht nur als Geldquelle betrachtet wird und somit auch nach der Trennung noch gerne ausgeführt werde.

Viele Scheidungsväter suchen Hilfe beim Therapeuten

Während Männer sich in anderen Bereichen häufig scheuen, fremde Hilfe anzunehmen, holten sich der Studie zufolge immerhin 33,6 Prozent der teilnehmenden Scheidungsväter nach eigenen Angaben Hilfe bei einem Psychotherapeuten.

Das Fehlen des Vaters ist kein neues Phänomen. Ein Viertel aller Kinder ist bereits nach dem Zweiten Weltkrieg ohne Vater aufgewachsen. Schließlich waren 86 Prozent der Männer Soldaten, jeder achte männliche Deutsche starb im Krieg, viele andere kehrten traumatisiert zurück, unfähig, am Familienleben teilzunehmen. Langjährige Studien zeigen: Auch nach 50 Jahren besteht bei den deshalb vaterlos aufgewachsenen Kindern eine mehr als doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit für psychische Erkrankungen, allen voran Depressionen. Grund hierfür ist nicht nur das fehlende Vorbild, sondern auch der überforderte alleinerziehende Elternteil. Die Düsseldorfer „Alleinerziehendenstudie“ zeigte: Alleinerziehende Mütter sind oft hoch belastet, leiden häufig unter Selbstzweifeln, Einsamkeit und Armut. „Dies beeinträchtigt ihre Empathie, die Mutter-Kind-Kommunikation ist gestört“, erklärt Matthias Franz. Verhaltensauffälligkeiten bei den Kindern sind oft die Folge, ganz besonders bei Jungen, die ohne Vater aufwachsen. Sie leiden mit höherer Wahrscheinlichkeit an psychischen Erkrankungen.

Abwesend bleiben die deutschen Väter laut Franz heute sogar dann, wenn keine Trennung erfolgt - etwa weil sie beruflich stark eingespannt sind. Nur 18 Prozent aller Väter nehmen die Möglichkeit der Elternzeit wahr. Die Wissenschaftler fordern daher: „Wir brauchen Hilfsangebote für alleinerziehende Mütter, eine Stärkung auch für Väter und Jungen sowie eine vermehrte männliche Präsenz in Kitas und Schulen.“

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